Bildstrecke mit Franca Pedrazzetti
Schafe auf der Flucht und andere Abenteuer
Einfühlsame Dokumentationen von Menschen und Orten, darin liegt die Stärke der Fotografin Franca Pedrazzetti. Dazu nimmt die Luzernerin in gemeinsamen Projekten mit ihrem Partner Beat Brechbühl auch Tiere vor die Linse. Sie begleitet Bauern auf ihre letzte Viehschau, kraxelt Gämsen nach und hält Schafe davon ab, durch die Hintertür zu verschwinden.
Frau Pedrazzetti, in Ihrer Arbeit «Short cut» haben Sie Schafe vor und nach der Schur porträtiert. Wie kam es zu dem Projekt?
Dieser Unterschied zwischen den wolligen und den schlanken, geschorenen Schafen hat mich schon als Kind fasziniert. Für das Projekt arbeiteten wir mit dem Wanderschäfer Ernst Vogel zusammen. Am Schertermin machten wir ein kleines Casting. Die auserkorenen Schafe haben wir dann einzeln vor und nach der Schur in einem kleinen umzäunten Pferch mit einem eingefärbten Hintergrund aus Pappe fotografiert. Das lief ganz gut, auch wenn es nicht ganz einfach war, die Tiere dafür zu begeistern, kurz still zu halten. Bis dann allerdings ein Schaf herausgefunden hat, dass der Hintergrund ja ziemlich leicht zu durchbrechen ist. Von da weg ergriffen alle anderen Schafe auch die Flucht durch die Hintertür.
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In Ihrer fotografischen Arbeit scheinen Sie grundsätzlich gerne mit unterschiedlichen Perspektiven zu spielen. Was interessiert Sie daran?
Was mich interessiert, ist nicht die Fassade, sondern die Persönlichkeit, die dahintersteckt. Mit meinen Fotografien möchte ich herausfinden, um was es beim Menschen oder auch beim Tier, das ich ablichte, eigentlich geht. Das äussere Gestell interessiert mich wenig, viel eher möchte ich herausfinden, wie das Leben die von mir fotografierte Person geformt hat und wie sie damit umgeht. Zugänge über die Hintertür, da wären wir wieder beim Thema, finde ich spannend.
«Jagd im Tessin» ist ein freies Langzeitprojekt von Ihnen. Wieso stellen Sie ausgerechnet die Jagd in den Fokus?
Mein Vater ist Tessiner und war schon während meiner Kindheit immer auf der Jagd. Es gehörten auch immer Jagdhunde zu unserer Familie. Die Hochwildjagd im Herbst war in meinem Umfeld immer präsent. Nun darf ich meinen Bruder für dieses Projekt begleiten. Ich finde es schön, zu sehen, was das Jagen alles bedeutet: die Einsamkeit, die Verbundenheit mit der Natur, die körperliche Anstrengung. Die Jagd hat für mich etwas Archaisches und Existenzielles, das fasziniert mich.
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Bei dieser Reportage haben Sie tote Gämsen und Rehe, ja sogar ihre Innereien fotografiert, hat das Überwindung gekostet?
Nein, eigentlich nicht. Wir haben dieses Tier lange begleitet respektive beobachtet und die Tötung passiert mit grösstem Respekt. Aber die Willkür des Todes, also die Plötzlichkeit und dass es nicht voraussehbar ist, wen es trifft, ist schon erschreckend und wirft einen auf die eigene Vergänglichkeit zurück. Beindruckend finde ich immer wieder die Grazie, in der das erlegte Wild daliegt, und die Gewandtheit, ja man kann fast sagen Eleganz, mit der mein Bruder das Tier ausnimmt. Diesen Moment nehme ich deshalb nicht als tragisch wahr, sondern als sehr würdevoll.
«Was mich interessiert, ist nicht die Fassade, sondern die Persönlichkeit.»
Für ein Buchprojekt haben Sie den Umbruch in der Region Andermatt dokumentiert. Die Fotos machen den Anschein, als würde hier die Moderne unbarmherzig ins ländliche Idyll einbrechen. Welcher Eindruck entstand bei Ihnen während dieser Arbeit?
Als Kind gingen wir mit der Familie oft nach Andermatt zum Skifahren. Als die ersten Gerüchte über das Bauprojekt von Samih Sawiris aufkamen, machte ich mich sofort auf und suchte Kontakt zu den dortigen Landwirten. Ich durfte eine Bauernfamilie das letzte Mal auf die Alp begleiten, das letzte Mal beim Heuen und auf die letzte Viehschau. Gleichzeitig war das Militär daran, ihr Übungsgelände abzubauen. Die Reaktionen im Dorf waren komplett unterschiedlich und die Stimmung sehr aufgeladen. In dieser Zeit des Umbruchs entstanden spannende Fotos: vorne der ausgehobene Boden des Schiessplatzes, der einem Kriegsschauplatz glich, und im Hintergrund grasten friedlich die Kühe. Ich denke, für den Ort und für den gesamten Kanton war das eine wichtige Chance, die viel Positives gebracht hat. Über die Umstände lässt sich natürlich immer diskutieren.
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Sie haben eine umfangreiche Kollektion mit Fotos von Schweizer Kühen erstellt. Viele der Aufnahmen zeigen die Kühe gemeinsam mit ihren Halterinnen und Haltern. Was für einen Bezug haben die Landwirte zu unserem Nationaltier?
Ich war vor allem auf vielen Alpen. Da bekam ich den Eindruck, dass es stark vom menschlichen Charakter abhängt, wie man seine Tiere hält und mit ihnen umgeht. Diesbezüglich hat mich ein Landwirt im Urner Schächental beeindruckt, der auf eine sehr naturverbundene Art mit seinen Tieren zusammenlebt. In einem Sommer sprangen ihm alle Alphilfen ab, er stand ganz allein da. Also traf er mit seiner Leitkuh die Abmachung, dass sie die Herde jeden Tag um 17 Uhr zum Melken zu ihm hinunterführen soll – und das klappte tatsächlich.
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Wenn Sie Tiere fotografieren, was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Ich habe schnell gemerkt, dass es absolut elementar ist, die Tiere zu spüren. Sobald mein Fokus nicht mehr vollständig auf dem Tier ist, schenkt es mir keine Aufmerksamkeit. Durch meine Arbeit habe ich gelernt: Möchte man Tiere porträtieren, dann muss man zu 1000 Prozent bei der Sache sein und es wirklich wollen. Eine nur oberflächliche, vorgetäuschte Zuwendung durchschauen Tiere sofort. Das haben sie so manchen Menschen voraus.
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Zur Person
Nach Lehre, Assistenzjahren und Ausbildung zur Reportagefotografin an der Schweizer Journalistenschule MAZ arbeitete Franca Pedrazzetti als freischaffende Porträt- und Reportagefotografin für Zeitungen, Zeitschriften und Firmen im In- und Ausland. Ihre Aufnahmen sind bereits an zahlreichen Ausstellungen und in Buchpublikationen gezeigt worden.
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