Indische Heilslehre
Ayurveda ist auch für Vierbeiner gut
Sandra Ricchiuto ist Ayurveda-Tiertherapeutin. Die Thurgauerin verrät, was die indische Heilslehre ausmacht und gibt praktische Tipps für Fellnasen-Halter.
Über 5000 Jahre alt ist die indische Naturheillehre Ayurveda. Und übersetzt heisst das so viel wie «Das Wissen vom langen Leben». Ziel dabei ist es, Körper, Geist und Seele wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Eine in der Schweiz noch recht neue Entwicklung ist die Anwendung der Ayurveda-Grundsätze auf Fellnasen. Und Sandra Ricchiuto (38) aus dem Thurgau ist eine der ersten Schweizerinnen, welche die Ausbildung zur Ayurveda-Tiertherapeutin an der Europäischen Akademie für Ayurveda im deutschen Birstein abgeschlossen hat. Sie behandelt Hunde und Katzen in der gesamten Deutschschweiz und weiss: «Ayurveda ist auch für Vierbeiner sehr gut, kann Krankheiten heilen aber auch Agilität und Zufriedenheit erhalten.»
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In der indischen Heilslehre steht die individuelle Konstitution im Zentrum.«Unterteilt wird in drei Lebensenergie-Typen (Dosha-Typen), die bei Mensch, wie Tier, anhand von Körperbau, Charaktereigenschaften und Mentalität analysiert werden kann», erklärt Ricchiuto. Lerne sie ein Tier neu kennen, gehe es zunächst darum, den aktuellen körperlichen und seelischen Gesundheitszustand zu beurteilen: «Ich schaue mir das Fell, die Pfoten, den Kot in Farbe, Konsistenz, Menge und Häufigkeit, die Zunge und das Verhalten des Tieresgenau an», beschreibt sie den Diagnose-Werkzeugkoffer des Ayurveda. Und je nach Tierart und Rasse muss sie dabei auf andere Dinge achten: «Bei einem Bernhardiner ist zum Beispiel das Fell normalerweise dicht und robust und die Zunge blassrosa bis weisslich, oft mit einem leichten Schleier oder Belag, fleischig und dick. Ist das Fell ungewöhnlich dünn und die Zunge sehr trocken, liegt vermutlich ein Ungleichgewicht vor.» Bei Katzen sehe sogar ein Laie oft, wenn etwas nicht stimmt: «Weil sie sich so ausgiebig der Fellpflege widmen, sollte mattes, raues und sprödes Fell mit kahlen Stellen immer ein Warnsignal sein», so die Expertin, «dann tut das Putzen aufgrund von Schmerzen im Bewegungsapparat weh oder es liegen andere gesundheitliche oder psychische Probleme vor.» In Gesprächen mit den Haltern erfragt Ricchiuto ausserdem Veränderungen in Verdauung, Fress- und Sozialverhalten, die ebenfalls Anzeichen für Krankheit, Stoffwechselprobleme, Kummer oder Disharmonien sein können.
Dosha-Typ zeigt Bedürfnisse
«In einem nächsten Schritt widme ich mich der Konstitutionslehre und versuche herauszufinden, welcher Dosha-Typ im jeweiligen Hund oder der Katze vorherrscht», sagt die Ayurveda-Expertin, «diese Einteilung ermöglicht es, die individuellen Bedürfnisse jedes Tieres zu erkennen und gezielt darauf einzugehen.» Was ein bisschen nach Hokuspokus klingt, wird inIndien seit Jahrtausenden praktiziert. Beim Menschen sagt man, dass Menschen mit schmaler, feingliedriger Struktur, die auf Kälte empfindlich reagieren, wahrscheinlich zu «Vata» tendieren und warme Mahlzeiten sowie süsse Lebensmittel für ihre Nerven brauchen. Wer helle, rosige Haut (oft mit Sommersprossen) hat, feines bis mitteldickes Haar und grossen Ehrgeiz hat, tendiert zu «Pitta» und braucht kühlende Speisen ohne Säure und genügend Ruhezeiten. Menschen mit massiger Statur, kräftigen Gelenken und öliger Haut tendieren zu «Kapha» und brauchen heisse, fett- und salzarme Speisen, die leicht bekömmlich sind, um den Stoffwechsel in Harmonie zu halten.
Die Dosha-Typen bei Tieren erkenne man auch an Körperbau und Wesenszügen, wobei meistens ein bis zwei Typen in jedem Lebewesen vorherrschen würden. Darauf reagieren können Halter mit gezielter Interaktion: «Zu Vata neigende Tiere sind feingliedrig und filigran gebaut und ängstlich in ihrem Verhalten», erklärt Sandra Ricchiuto, «sie brauchen Regelmässigkeit und ganz viel menschliche Zuneigung mit Zeit und Geduld, um in seelischer Balance zu sein.» Ausserdem bräuchten sie Rückzugsorte für sich. «Das Umplatzieren des Katzenbaums oder Schlafkissens in eine ruhigere Ecke kann bereits helfen», sagt sie. Tiere, die zum «Pitta»-Typ tendieren, hätten hingegen einen muskulösen Körperbau und seien sehr durchsetzungsstark und fordernd. «Das kann Halter schnell überfordern, eine stressige Atmosphäre erzeugen und das Tier aggressiv machen», sagt die Expertin. «Wichtig ist hier eine klare, bestimmende Führung durch Herrchen und Frauchen.
Das gibt allen Beteiligten Sicherheit.» Bei Hunden sei ein klares «Nein» einfacher umzusetzen. Katzen könne man etwa mit Klickerspielen Routinen antrainieren, die ihnen Führung demonstrieren. Tendenzielle «Kapha»-Tiere wiederum seien an einem schweren, kräftigen Körperbau und an einem lieben und gemütlichen Charakter zu erkennen. «Diese Tiere neigen leider zu Übergewicht und müssen liebevoll dazu animiert werden, sich am besten vor dem Essen zu bewegen, um den Stoffwechsel anzuregen oder beim regelmässigen gemeinsamen Spiel auszupowern.»
Zusätzlich zur Haltung setzt die Expertin auch auf weitere fernöstliche Methoden, etwa auf Massage-Techniken bei Hunden und Pferden, welche die Energieströme gemäss traditioneller chinesischer Medizin anregen sollen.
Auch Fütterung hat Einfluss
«Ein besonderer Punkt, durch den bei jedem Tier viele Energiebahnen zusammenfliessen, ist die Stelle hinter dem Schweifansatz», gibt sie als Praxis-Tipp für Daheim, «sanfte, kreisende Bewegungen an dieser Stelle lieben die meisten Tiere – das entspannt!» Und auch für die Fütterung hat sie einen Tipp aus dem Ayurveda: «Am besten frisch kochen und lauwarm servieren, dann kann das Futter besser verstoffwechselt werden.» Belebende indische Gewürze wie Pfeffer, Kreuzkümmel oder Chili seien bei Haustieren grundsätzlich tabu oder nur in Absprache mit einer erfahrenen Ayurveda-Tiertherapeutin einzusetzen. «Aber eine Messerspitze Kardamom im Hundefutter oder frische Gartenkräuter wie Basilikum oder Dill, kleingeschnitten und unter das Futter gemischt, verwehren die wenigsten Hunde und Katzen.»
Sandra Ricchiuto sagt: «Zentral im Ayurveda ist die Achtsamkeit.» Der Mensch lerne in der Lebensphilosophie des Ayurveda für sich selbst, was ihm guttue und was nicht: Zwickt der Bauch nach Rohkost-Salat? Dann sei das vielleicht nicht das Richtige für uns, auch wenn wir es für gesund halten. Manche Menschen brauchen speziell warme Speisen oder Kohlenhydrate und quälen sich den eigenen Bedürfnissen zum Trotz durch trendige Low-Carb-Diäten. Auf Dauer könnten zu den eigenen Bedürfnissen unpassende Lebensgewohnheiten aber krank machen. «Beim Ayurveda für Hund, Katze oder Pferd ist immer die Achtsamkeit des Halters gefragt, weil das Tier uns seine Bedürfnisse nicht mitteilen kann und Haltungsfehler krank und unglücklich machen können.» Das Wichtigste: «Das Tier aufmerksam beobachten und täglich ganz bewusst Zeit mit dem geliebten Haustier verbringen. Mit Geduld und Liebe erkennen wir Veränderungen und können unserem Vierbeiner helfen.» Ricchiutos Botschaft an alle Tierbesitzer: «Jedes Tier ist einzigartig und wir müssen es so sein lassen, wie es ist. Wenn wir dies akzeptieren, fühlt sich das Büsi oder der Hund wohler – und stressbedingte Verhaltensauffälligkeiten gehören der Vergangenheit an.»
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