Allein der Weg zur Grabenöle in Lüterswil ist ein Erlebnis. Auf der Hauptstrasse des Bucheggbergs zeigt ein brauner Wegweiser den Weg zur Wassermühle an. Der Asphalt unter den Füssen weicht schnell, denn plötzlich ist man mitten im Wald. Neben dem Wanderweg, der entlang der Kantonsgrenze verläuft, plätschert leise der Rütibach. Bärlauch spriesst zwischen den Bäumen, die Vögel zwitschern – für Mitte März ist es jedoch kalt. Plötzlich lichtet sich der Wald. In der Ferne ist ein Haus zu sehen.

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Je näher man kommt, desto mehr rückt die Stille in den Hintergrund. Rund um das Gebäude herrscht reger Betrieb. Aus gutem Grund: An diesem Samstagnachmittag wird geölt – wie vor 400 Jahren.

Mitglieder des Ölivereins Lüterswil sind bereits in ihrem Element. Sie eilen umher, arbeiten draussen oder in der Öle. Vor dem Haus steht ein Tisch mit Kaffee und Kuchen, Nussöl und -mehl bereit. Auch ein Gästebuch wurde in Position gebracht. «Heute Nachmittag kommt der Mühleverein Dotzigen hier vorbei. Wir zeigen ihnen unsere Öle», erklärt Urs Schiess.

Zum Leben erweckt

Dass das alte Handwerk des Ölens in der Grabenöle noch praktiziert und als lebendiges Museum der Öffentlichkeit vorgeführt wird, ist zu einem grossen Teil Urs und seiner Frau Annette Schiess-Seifert zu verdanken. Wegen eines Inserats, das 1981 in der TierWelt erschien, entdeckte das Paar die Grabenöle, erwarb die Liegenschaft kurzerhand und zog in das Wohnhaus, das sich über der Ölanlage befindet.

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Damals war das Gebäude jedoch von Jahrzehnten des Zerfalls gezeichnet. Über 400 Jahre hat die Öle auf dem Buckel, über 60 Jahre stand die Ölanlage aber still. Obwohl sie bereits seit 1942 unter kantonalem Denkmalschutz steht und seit 1945 dem Kanton Solothurn gehört, nagte der Zahn der Zeit an ihr. Die permanente Feuchtigkeit hatte die hölzernen Balken vermodern lassen und auch das Räderwerk in Mitleidenschaft gezogen. Kurz nach dem Einzug der jungen Familie Schiess-Seifert krachte die Aussenwand des Wasserradraums in sich zusammen. Das Ehepaar erkannte jedoch den historischen Wert der Grabenöle und war entschlossen, sie zu restaurieren. Nach aufwendigen Arbeiten und mit finanzieller Unterstützung der öffentlichen Hand gelang diese Mission schliesslich 1987. Seit 1988 wird in der Grabenöle wieder Öl gepresst.

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Wie dieser Prozess funktioniert, zeigt Kaspar Schiess Cimeli auf einem Rundgang. Der Sohn von Annette und Urs ist in der Grabenöle aufgewachsen und hat die Liegenschaft 2016 übernommen; seine Eltern leben mittlerweile in einer kleineren Wohnung in Solothurn. Wir betreten das Innere des historischen Gebäudes. Ein Schild weist den Weg in die Kammer, wo sich das hölzerne Wasserrad dreht. Über einen Einlaufkanal, abgezweigt vom Rütibach, wird das Wasser in die Grabenöle und auf das Rad geleitet. Was die Kraft des Wassers alles in Bewegung setzt, zeigt sich nebenan im Öleraum. Es wird laut, denn die Öle ist in vollem Gange. Räder drehen, Holz kracht aufeinander, es knackt und knarzt.

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Allen, die sich für den genauen Vorgang des Ölens interessieren, sei an dieser Stelle der Besuch einer Ölmühle empfohlen – diese uralte Technik selbst zu erleben, ist eindrücklich. Vereinfacht beschrieben, treibt das Mühlerad eine Achse an, welche die Kraft des Wassers auf ein Kammrad überträgt. Dieses ist imstande, über mehrere Wellen verschiedene Prozesse in Betrieb zu setzen. Einer davon ist der Kollergang. Darauf dreht der «Läuferstein» seine Runden und zermalmt dabei Nüsse zu Brei. Ist die gewünschte Konsistenz erreicht, wird die Masse zusammengeschabt und im Ofen erhitzt. Das Rührwerk, ebenfalls durch die Mühle angetrieben, hält den Brei während des Erhitzens auf eine Temperatur von 60 oder 70 Grad in Bewegung. Anschliessend kommt die erwärmte Masse auf einen Pressbock und wird dort durch einen Schlagbalken bis auf den letzten Öltropfen ausgepresst.

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Der ganze Vorgang erfordere viel Aufmerksamkeit und Finesse, betont Schiess Cimeli. «Am Anfang haben wir einfach den Brei genommen und geölt. Doch dann haben wir schnell gemerkt, dass es einen Unterschied macht, wie lange man Brei zermalmt oder bei wie viel Grad er erhitzt wird.» Schliesslich gelte das Nussöl heute als Gourmetprodukt. «Im 16. Jahrhundert war das noch ganz anders. Damals diente das Öl hauptsächlich als Brennstoff.» Damals wie heute bestimmt das Wasser den Takt der Ölmühle. Herrscht Trockenheit, steht das Wasserrad und damit die ganze Anlage still.

Das drohende Nachwuchsproblem

Den jahrhundertealten Prozess des Ölens hätten seine Eltern erst einmal lernen müssen, erzählt Kaspar Schiess Cimeli. Ein alter Öler im benachbarten Mühledorf habe seiner Mutter Annette das Ölen beigebracht. Um das alte Wissen zu bewahren, gibt sie heute Öler-Kurse in der Grabenmühle. «Wir müssen dieses Wissen möglichst streuen, sonst ist es bald verloren!» Denn wie so viele Vereine sieht sich auch der Öliverein Lüterswil mit einem Nachwuchsproblem konfrontiert. Gegründet im Eröffnungsjahr 1988, hat der Verein zwar mittlerweile über 500 Mitglieder. Aber: «Diese werden langsam älter. Junge – und damit meine ich Leute in meinem Alter – rutschen nicht viele nach», so der 49-Jährige. Ein gewisses Zielpublikum könnten Menschen sein, die sich für lokale Ernährung und Vegetarismus interessieren. «Aber man kann die Leute begrenzt fremdmotivieren, an so einer Sache Spass zu haben.»

2028 feiert der Öliverein sein 40-jähriges Bestehen. Dass vereinsintern ein so enger Kern entstanden sei, sei vor allem seinen Eltern und Markus Schmid, dem heutigen Vereinspräsidenten, zu verdanken, betont Schiess Cimeli. «Teilweise hatten sie die Öle Wochenende für Wochenende geöffnet, um sie den Leuten zu zeigen.» Auch wenn die Familie Schiess die Grabenöle geprägt hat, «war es vor allem die enge Zusammenarbeit des Ölivereins, die die Grabenöle wieder aufleben liess».

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So treffen sich dessen Mitglieder regelmässig. Rund zwölf Mal pro Jahr ist die Anlage in Betrieb, um Nüsse zu Öl zu verarbeiten. Daneben muss die Anlage regelmässig aufwendig gereinigt werden. Auch eine gemeinsame Reise steht jährlich an. Meistens besucht der Öliverein dabei eine andere Mühle. Auch beim Mühleverein Dotzigen, der am Nachmittag zur Führung erwartet wird, sei man bereits zu Gast gewesen, erzählt Kaspar Schiess Cimeli. «Diese Vernetzung ist sehr wichtig für die Kulturbewahrung.»

Für den Aktuar des Vereins bedeutet dieses denkmalgeschützte Haus vor allem eines: Heimat. «Die Öle ist für mich schlicht nicht trennbar vom Haus.» Schliesslich würde sie das abgeschiedene Tal beleben. «Wir befinden uns halt schon im ‹Chrachen›. Ohne die Öle wäre es einsam hier. Dass Leute trotzdem hierhin kommen, um ein Stück Geschichte zu erleben, bereichert unglaublich.»