Das höchste Glück der Erde
Mädchen und Ponys im Zürcher GZ Buchegg
Im Zürcher Gemeinschaftszentrum Buchegg können Stadtmädchen ihr Glück auf dem Rücken von Ponys finden. Und sie lernen, dass die Tiere sie auch dann brauchen, wenn sie gerade keine Lust auf Stallarbeit haben.
Die drei Mädchen, die heute Stalldienst haben, wirken routiniert: Schwungvoll fliegen die Rossäpfel von der Schaufel auf die Garette und werden durch den Stallgang zur grossen Mistmulde gekarrt. Viel Mist ist es nicht, denn die Ponys und Lamas im Zürcher Gemeinschaftszentrum Buchegg liegen auf weichen Matten und statt Stroh verwenden Wilma, Emilia und Eva Sägemehl als Einstreu. «Damit konnten wir die Menge an Mist beträchtlich reduzieren», erklärt Bea Weber, die im GZ Buchegg zusammen mit Adrian Würgler den Bereich Bildung/Tier leitet. Nach dem Ausmisten füllen die Mädchen die Raufen mit Heu und tragen zu zweit die schweren Wassereimer in die Boxen. Auf die Frage, ob sie gerne den Stall ausmistet, gesteht Wilma, dass sie natürlich am aller-liebsten reiten geht. «Aber die Tiere sollen es schliesslich gut haben», sagt die 13-Jährige.
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Pferdeglück in der Grossstadt
Für Wilma ist es ein «grosses Glück», dass sie nach ihrem Umzug in die Stadt Zürich weiter Reiten gehen kann. Denn zuvor lebte ihre Familie auf dem Land. Dort konnte sie mit dem Pony eines benachbarten Bauern ausreiten, wann immer sie wollte. Doch im Gemeinschaftszentrum Buchegg kann man nicht einfach ankommen und ein Pony satteln. Die insgesamt 23 Mädchen – es sind tatsächlich ausschliesslich Mädchen – füttern täglich die Ponys, Lamas, Ziegen und Esel und misten ihre Ställe aus. Die Regeln der Stallgruppe im GZ Buchegg verlangen von den Schülerinnen zwischen 10 und 16 Jahren, zweimal in der Woche zu kommen und die Stallarbeit zu übernehmen. Früher gab es für die Aufnahme in die Stallgruppe eine lange Warteliste.
«Doch heute haben die Kinder einen vollen Stundenplan», erklärt Bea Weber gegenüber der TierWelt. «Es braucht darum viel Begeisterung, damit sich die Kinder und Jugendlichen für zwei Nachmittage pro Woche verpflichten können oder wollen.» Und weiter: «Der Stall sollte für die Mädchen nach der Schule die zweite Priorität sein.» Das sei wichtig, um auch den Tieren eine gewisse Kontinuität zu garantieren. «Sie sollten die Mädchen kennen und umgekehrt.» Die drei Mädchen, die an diesem Dienstag den Stall ausmisten und den Tieren ein neues Bett einstreuen, haben denn auch «ihr» Pony, wenn es ums Reiten geht. Bei Wilma ist es zurzeit das gescheckte Pony Miro, Emilia und Eva reiten die grösseren Ponys Tino und Pablo.
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Professionelle Verkupplerin
Wer welches Tier bekommt, entscheidet Bea Weber, die als Reitpädagogin ausgebildet ist, anhand des Charakters der Tiere und danach, wie die Kinder auf die Tiere zugehen. «Es gibt Kinder, die den Tieren gleich um den Hals fallen und andere, die sehr zurückhaltend sind. Ich bin sozusagen eine professionelle Verkupplerin. Ich spüre sehr schnell, welches Tier und welches Kind am besten zusammenpassen». Der Höhepunkt eines Stallnachmittags ist natürlich der Ausritt oder ein Spaziergang mit den Ponys im angrenzenden Waidberg-Wald. «Es ist schön, mit den Ponys im Wald unterwegs zu sein», sagt Wilma. Obwohl sie ganz in der Nähe wohnt, würde sie ohne Pony nie auf die Idee kommen, in den Wald zu gehen.
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Mädchen, die mindestens drei Jahre dabei sind, dürfen sogar ohne Begleitung mit den Tieren in den Wald. Wenn nach der Stallarbeit nur wenig Zeit bleibt, führen die Mädchen die Ponys, Esel und Lamas am Strick. Wenn mehr Zeit ist, dürfen sie nach dem Überqueren des Bucheggplatzes in den Sattel steigen. Zum grossen Glück führen über die riesige Kreuzung mit sechs mehrspurigen Strassen und etlichen Tram- und Bushaltestellen ausladende Fussgängerbrücken. Auf den breiten Brücken können Fussgänger, Velofahrerinnen und auch die Tiere den Bucheggplatz gefahrlos überqueren.
Bis es so weit ist, dass die Mädchen eigenständig losziehen können, müssen sie erst lernen, was die Ponys, Esel und Lamas brauchen, damit es ihnen gut geht, und in der Gruppe Verantwortung zu übernehmen. Neu aufgenommen werden Kinder jeweils nach den Herbst- und den Frühlingsferien. Während eines einwöchigen Ferienkurses können Kinder ab zehn Jahren die Arbeit im Stall und den Umgang mit den Tieren kennenlernen. Die «Neuen» kümmern sich anfangs vor allem um die Lamas und die beiden Esel Ramiro und Gaston. Sie lernen, die Esel, Lamas und die Ponys richtig zu striegeln, ihre Hufe zu pflegen, kleinere Wunden zu behandeln und sie spazieren zu führen. Ausserdem bekommen sie ein Gespür für den Gemütszustand der Tiere und lernen, ihr Verhalten zu deuten. So sagt Wilma über «ihren» Miro: «Wenn er nicht so gute Laune hat, will er keinen Kontakt und dreht sich einfach weg.»
Sinnvolle Alternative
Als es heute ans Ausreiten geht, striegeln die Mädchen ihre Ponys und legen ihnen dann die Reithalfter an und die Sättel auf, wie sie es gelernt haben. Dabei ist immer eine der zwei Fachmitarbeitenden präsent. Sie instruieren die Mädchen, geben Tipps und Hinweise und helfen, wenn es Schwierigkeiten gibt. Inzwischen ist auch das vierte Mädchen eingetroffen, das wegen eines Zahnarzttermins heute den Stalldienst verpasst hat. Die 15-jährige Thalya reitet inzwischen das grösste Pony, einen Haflinger-Irländer-Mix. Heute hat Thalya Mühe, dem Tier die Hufschuhe so überzuziehen, dass sie richtig sitzen. Bea Weber hilft ihr dabei und pflegt gleich noch eine Wunde am Po des Ponys. Die Hufschuhe schonen beim Ritt auf den Kieswegen im Waidwald die unbeschlagenen Hufe der Tiere.
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«Mit dem Einbezug in die Pflege der Tiere wollen wir den Kindern und Jugendlichen eine Alternative zum Medienkonsum bieten. Die Kinder verbringen einen Teil ihrer Freizeit draussen mit den Tieren und anderen Kindern. Sie erleben die Natur, die verschiedenen Jahreszeiten und werden mit den Lebensphasen der Tiere konfrontiert», erklärt Bea Weber. Ältere Jugendliche könnten ihr Wissen an Jüngere weitergeben. «Das fördert ihre Kommunikationsfähigkeit und ihre Sozialkompetenzen. Und es stärkt ihr Selbstvertrauen und ihr Selbstwertgefühl», ergänzt die langjährige Leiterin des speziellen Angebots.
Die 17 Zürcher Gemeinschaftszentren (GZ) sind eine Besonderheit der Stadt Zürich. Die GZs sind meist mit Spielplätzen ausgestattet und bieten Begegnungsräume, vor allem für Familien, aber auch für Menschen aller Altersgruppen. Neben Räumen und Werkstätten für selbst initiierte Angebote der Quartierbewohner bieten die GZs Kurse und Freizeitangebote, die die Menschen zusammenbringen. Einige GZs halten Tiere, andere konzentrieren sich auf pädagogische und soziokulturelle Aktivitäten. Die GZs sollen Quartierbewohner und -bewohnerinnen verschiedenster Herkunft zusammenbringen, sie vernetzen und ihr Zugehörigkeitsgefühl stärken. Die Quartierzentren werden von einer Stiftung betrieben. Diese handelt im Auftrag der Stadt Zürich und wird von ihr finanziert. Das spezielle Angebot im GZ Buchegg fordert von den Eltern eine monatliche finanzielle Beteiligung in Höhe von 140 Franken. Wenn die Familie sich diesen finanziellen Aufwand nicht leisten kann, findet sich meist ein Götti oder ein anderer Freund der Familie, der bereit ist, dem Kind die Teilnahme zu ermöglichen.
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