Wasserkraftanlagen, welche die Lebensräume in Schweizer Gewässern beeinträchtigen und die Fischwanderung behindern, müssten gemäss Gewässerschutzgesetz bis 2030 ökologisch aufgewertet werden. Von schweizweit rund 1000 gemeldeten Sanierungsprojekten wurden jedoch bis Ende 2022 erst rund 10 Prozent umgesetzt, wie das Bundesamt für Umwelt letztes Jahr bekannt gab. SFV-Zentralpräsident Daniel Jositsch forderte im Oktober mehr Tempo: Bund, Kantone und die Wasserkraft sollen vom Bummelzug auf den Hochleistungszug umsteigen und vorwärts machen. Hat der Umstieg geklappt, Herr Bittner?

Der Bummelzug wurde vielleicht ein bisschen schneller, aber beim Schnellzug sind wir noch lange nicht. Es ist verständlich, dass solch riesige Anlagen zuerst geplant werden müssen. Doch irgendwann müsste man schon in eine Phase gelangen, in der man die anstehenden Aufgaben mit Vollgas umsetzt. Wir sehen, dass dieser grosse Schub in den letzten Monaten nicht passiert ist. Mit dem Vollzug hinkt man hinten nach – das ist nach wie vor so. Das hat Einfluss auf die Fischbestände: Wir müssen leider feststellen, dass die Bestände vieler Arten noch immer rückläufig sind.

Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Bedrohungen für den Lebensraum Wasser?

Die Wasserkraft ist sicher einer der grössten Gründe, warum es nicht gut um den Lebensraum Wasser steht. Doch ein weiterer Grund ist auch die Zerstörung des Lebensraums Wasser: Die Hälfte unserer Gewässer in der Schweiz ist verbaut, kanalisiert und betoniert. Die Fische haben somit keinen attraktiven Lebensraum mehr. Der dritte grosse Punkt ist die Wasserqualität. Nährstoffe wie Stickstoff oder Phosphor und Pestizide schaden der Wasserqualität, aber auch Abwässer und Mikroverunreinigungen, wie Mikroplastik und Medikamentenrückstände, verunreinigen das Wasser in unserem dicht besiedelten Land. Weitere Faktoren wie der Klimawandel und die Erwärmung der Gewässer bringen kältebedürftige Wasserlebewesen massiv stärker unter Druck. Andere Probleme sind Neozoen, also fremde Arten wie die Schwarzmeergrundeln im Baselbiet oder Quaggamuscheln in diversen Seen. Lokal gibt es auch Probleme mit fischfressenden Vögeln – der Bestand des Kormorans und des Gänsesägers nimmt zum Beispiel viel zu stark zu.

Drei Viertel aller einheimischen Fische stehen auf der Roten Liste. Wie blickt der SFV hinsichtlich dieser Tatsache in die Zukunft?

Als Fischereiverband nutzen wir die Fische als Ressource für eines der schönsten Hobbies der Welt. Gleichzeitig sind wir eine, wenn nicht die wichtigste Stimme für die Fische. Wir haben also einen scheinbaren Konflikt zwischen Schutz und Nutzung. Aber die Fische brauchen unseren Schutz mehr denn je. Der Zustand des Lebensraums Wasser ist leider alles andere als rosig – unseren Fischen geht es schlecht. Natürlich muss man differenzieren: Einzelne Arten kommen mit den bestehenden Problemen und dem Klimawandel gut zurecht. Aber wir stellen fest, dass immer mehr Arten auf der Roten Liste landen. Das ist alles andere als erfreulich. Vor allem die kältebedürftigen und fischereilich attraktiven Arten wie die Forelle oder die Äsche sind immer stärker gefährdet. Das bereitet uns grosse Sorgen.

Der SFV hat das Projekt «Fischer schaffen Lebensraum» ins Leben gerufen. Wie funktioniert das?

Nebst der Sanierung der Wasserkraftanlagen ist die Revitalisierung ein ganz wichtiger Pfeiler des neuen Gewässerschutzgesetzes. 4000 Kilometer der verbauten, zerstörten Lebensräume am Wasser sollen bis 2090 wieder revitalisiert und aufgewertet werden. Uns geht es auch da viel zu langsam vorwärts – die Ziele werden nicht erreicht. Das hat uns dazu bewogen, mit einfachen, pragmatischen Massnahmen selbst Hand anzulegen und Gewässer aufzuwerten. Mit Totholz schaffen wir beispielsweise Strukturen, die einen wichtigen Nahrungsbestandteil eines Gewässers bilden. Es zersetzt sich langsam und bildet Nahrung für Insekten. Damit haben auch die Fische mehr zu fressen. Es handelt sich bei diesem Projekt also um Massnahmen, welche die gesamte Biodiversität fördern. Zudem befreien wir während unseren Clean-Up-Aktionen Gewässer von Abfall.

Im Rahmen des Projekts «Doubs vivant» setzt sich der SFV auch für die einzigartige Flora und Fauna entlang des Grenzflusses zwischen der Schweiz und Frankreich ein. Dabei geht es unter anderem um den Schutz eines weltweit einzigartigen Fisches, dem Roi du Doubs. Wie geht es dieser Art und ihrem Heimatfluss?

Der Doubs gilt als Naturjuwel, aber der Schein trügt. Auch am Doubs gibt’s Kraftwerke und Verunreinigungen. Während den Hitzesommern gibt es immer mehr Algen, aber immer weniger Wasser. Mit dem Roi du Doubs haben wir eine ikonische Art, die in der Schweiz nur im Doubs vorkommt. Leider ist ihr Zustand alles andere als rosig. 2023 hat man noch ein einziges Tier, ein Weibchen, gefunden. Man versucht, mit ihm in einer Art Aufzuchtprogramm die Art vom Aussterben zu bewahren. 2024 suchte man nach weiteren Exemplaren, fand aber keinen einzigen Fisch. Vielleicht ist das Weibchen das letzte seiner Art, vielleicht gibt es nebst ihr noch den einen oder anderen Fisch, vielleicht ist der Roi du Doubs aber auch bereits ausgestorben. Genau wissen wir es nicht. «Doubs vivant» ist eines unserer Herzensprojekte: Gemeinsam mit Pro Natura und WWF versuchen wir, uns auf verschiedenen Ebenen für den Doubs einzusetzen. Wir machen, was wir können, doch die Erfolgsaussichten, dass wir den Roi du Doubs vor dem Aussterben retten können, sind wohl leider gering.

Nach dem Vorbild der Vogelwarte Sempach soll in Moosseedorf das Fischzentrum Schweiz entstehen. Wie weit ist das Projekt vorangeschritten?

Es handelt sich um ein Jahrhundert-Projekt des SFV und auch der ganzen Fischerei der Schweiz. Nun müssen das Wettbewerbsprojekt verfeinert und die Kostenschätzung erhärtet werden. Dazu kommt die grosse Suche nach Investoren und Unterstützern. Wir hoffen, dass wir vielleicht in fünf Jahren eröffnen können.

Ziel des Fischzentrums Schweiz soll sein, die Fischwelt der breiten Bevölkerung näherzubringen. Ist sich diese der Probleme der hiesigen Fische zu wenig bewusst ist?

Absolut. Fische sieht man seltener als Vögel und Säugetiere. Daher haben sie auch keine grosse Lobby. Sie gehen massiv unter – nicht nur rechtlich und politisch, sondern auch gesellschaftlich. Ich betone: Bei kaum einer anderen Gruppe stehen drei Viertel aller Arten auf der Roten Liste. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Gewässer unsere Hotspots für Artenvielfalt sind.